In der heutigen Zeit ist sich der Mensch gewohnt ständig von Mitmenschen umgeben und mit ihnen zu sein. Allein zu sein fühlt sich komisch an – vor allem, wenn man dies in der Öffentlichkeit tut. Wann sind wir das letzte Mal alleine ins Kino? Oder haben wir uns in letzter Zeit alleine an einen Tisch in unserem Lieblingsrestaurant hingesetzt?

«Anfänglich fühlte ich mich unwohl…»

Erst kürzlich war ich gezwungen, knapp vier Stunden alleine in Zürich verbringen zu müssen. Zuerst irrte ich eine knappe Stunde sinnlos umher und suchte mir verzweifelt eine Beschäftigung, danach bekam ich Hunger und ging essen- ohne Begleitung, versteht sich. Anfänglich fühlte ich mich unwohl: Ich hatte das anhaltende Gefühl, von anderen Besuchern missbilligend angestarrt zu werden und ab und zu ertappte ich auch jemanden dabei, der mich mit einem fragwürdigen Blick musterte. Wahrscheinlich wirkte ich am Tisch wie ein sitzengelassener Teenager, der krampfhaft versuchte, beim Anblick seines Wraps nicht in hysterisches Heulen zu verfallen. Oder man befürchtete, in mir stecke ein Aussenseiter, der jeden Kontaktversuch mit aggressivem Geschrei abwehrte und deshalb einsam eine Flasche Wasser leerte. Was alles völlig irrsinnig und albern klingt, entspricht logischerweise zu keinem Prozent der Wahrheit. Ich sass so am Tisch, weil ich Hunger hatte. Und ganz einfach alleine hier war.

Alles in meinem eigenen Tempo

Irgendwann interessierten mich die Blicke der anderen nicht mehr. Ich fing es an zu geniessen, dass ich so langsam essen konnte wie ich wollte und nicht permanent von jemandem dazu gedrängt wurde, einen Zahn zuzulegen. Auch als ich danach die Bahnhofstrasse entlangspazierte und mich in den Läden umsah, war ich froh, dort reingehen zu können, wohin ich auch wirklich wollte. Es war beinahe angenehm, vor allem als zwei Mädchen anfingen sich zu streiten, weil eine lieber nach Hause statt noch shoppen wollte, während ich seelenruhig ein Shirt anprobierte, unabhängig von den Wünschen einer anderen Person.

Bei jeder Beschäftigung eine Begleitung zu haben ist schon so etwas wie eine Gewohnheit geworden. Ist ja eigentlich schön, wenn man Zeit mit anderen verbringt, statt immer hinter zugezogenen Vorhängen einen Netflix-Marathon zu starten. Aber ist es nicht traurig, dass wir es nicht einmal schaffen, alleine in einem Restaurant zu essen? Sollten wir nicht lernen, auch mal für uns sein zu können?

Finde das Mittelmass!

Das bedeutet aber nicht, dass ich mich dazu entschieden hätte, mein weiteres Leben als Einsiedler zu verbringen und mich sozial völlig abzuschotten. Mit anderen Personen Zeit zu verbringen ist wichtig – die ganze Zeit allein zu sein macht unglücklich und kann das Risiko für Depressionen erhöhen. Aber sich 24 Stunden am Tag von anderen abhängig zu machen ist genauso ungesund. Denn letztendlich ist der einzige Mensch, der dein ganzes Leben lang bei dir ist, du selbst. Und wie willst du leben, wenn es für dich unmöglich scheint, mit dir alleine Zeit zu verbringen.

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